Zur Erinnerung, die aktuelle Integrationsdebatte fand ihren Ursprung in den Jahren nach dem verheerenden Zweiten Weltkrieg. In den ersten Nachkriegsjahren stellte man fest, dass viele der Männer die man dringend für den Wiederaufbau gebraucht hätte, ihr Leben im Krieg gelassen hatten. Historiker und Wirtschaftsexperten sind sich alle einig, dass Deutschland den Wiederaufbau der Tatkraft und dem starken Willen der deutschen Frauen - angefangen bei den sogenannten „Trümmerfrauen“ - verdankt, die in den Widrigkeiten des Lebens nach dem zerstörerischen Krieg, bei allem Verzicht und Leid dieser Tage, den Grundstein des heutigen Wohlstandes unserer Gesellschaft gelegt haben.
Im Zuge der Wirtschaftswunderjahre konnte das vermeintlich „schwache Geschlecht“ allein auch nicht mehr der enormen Nachfrage der Wirtschaft nach immer mehr Arbeitskräften gerecht werden. Die damalige Regierung besann sich der Möglichkeit Arbeitskräfte aus anderen europäischen Staaten zu holen, die bereit waren für geringen Lohn auch unliebsame Arbeiten auszuführen. Man brachte mit viel PR-Aufwand Gastarbeiter aus Italien, Portugal, Spanien und Griechenland nach Deutschland. Bis weit in die Sechzigerjahre hießen die Migranten noch „GASTarbeiter“!
Diese Menschen sprachen nur wenig Deutsch. Sie waren aber bereit, ihren Lebensunterhalt im Wirtschaftswunder Deutschland zu verdienen. Während einer späteren Phase der Öffnung für die Gastarbeiter trafen auch viele neue, billige Arbeitskräfte aus der Türkei ein. Dieses Mal gab es einen entscheidenden Unterschied - die Türken gehörten fast zu hundert Prozent dem Islam an.
Um das Wettrennen gegen Wirtschaftsriesen wie die USA, Japan usw. auf dem Weg zum Exportweltmeister voranzutreiben, war den deutschen Wirtschaftsbossen und mit ihnen allen deutschen Regierungen, unter welcher parteilichen Vorherrschaft auch immer, alles recht. Es sollten nur genug billige und willige Arbeitskräfte, bevorzugt natürlich für die meist verachteten körperlichen Schwerstarbeiten, der Industrie zugeführt werden. Im aufstrebenden und nach wie vor vom Nazi-Regime geschockten Deutschland spielte damals die Religion der Gastarbeiter auch keine vorrangige Rolle.
Heute hat sich aber die Situation geändert.
Mit der Zunahme der Einwanderung und mit dem spürbaren Rückgang des Wirtschaftsaufschwungs änderte sich auch der Tonfall. In den Siebzigern nannte man die Migranten schon Ausländer, in den Achtzigern wieder, politisch korrekter, ausländische Mitbürger. In den Neunzigern dominierte der Begriff Asylanten bzw. Flüchtlinge die Sprache. Heute heißen sie Migranten bzw. Bürger mit Migrationshintergrund!!!
Die Medien sind voll mit Nachrichten über Wirtschaftskrisen, hohe Arbeitslosenzahlen, soziale Unsicherheit, mehrere Kriegsfronten an denen leider auch deutsche Soldaten mitkämpfen müssen, erdrutschartige Einbrüche der Wählerzahlen bei den großen Parteien, lawinenartige Zunahme der Kirchenaustritte nach den Skandalen in Zusammenhang mit Kindesmisshandlungen und Sexaffären in den Kirchen, Bankenpleiten, betrügerische Bankmanager, die man getrost Gangster nennen könnte, schlechte Ergebnisse bei der PISA-Studie und vieles mehr.
Aktuell scheint es so, als ob sich Politiker, Kirchen und vergleichbare Kräfte zur Ablenkung von eigenen Fehlleistungen geschlossen auf die Muslime einschießen würden. Wer aber nun denkt, die Diskriminierung des Islams sei etwas Neues, muss sich eines Besseren belehren lassen. Bereits lange vor der unheilvollen islamischen Revolution im Iran gab es anti-islamische Propaganda. Seit damals wurde in den Nachrichten plötzlich von der Islamischen Welt gesprochen. Bis heute stellt sich eine offene Frage: Wenn es die Islamische Welt gibt, wie nennt man dann die restliche Welt. Ist es die christliche, die jüdische oder vielleicht doch die anti-islamische Welt.
Selbst Hollywood, wo man professionelle Diskriminierung aus dem ff beherrscht, fand an dieser neuen Situation wieder gefallen. Das erinnert an früher, als in den Western-Filmen die Weißen immer Helden und die Indianer immer Böse bzw. die Farbigen immer arme hungernde Sklaven waren, die Araber immer wilde Schlächter und die Weißen siegreiche Eroberer. In den Kriegsfilmen gaben die Deutschen immer den bösen Nazi und die Amerikaner den heilbringenden Sieger, wurde Anfang der Achtziger Sally Field als Filmstar für die Hauptrolle des Films mit dem Titel „Nicht ohne meine Tochter“ auf der Grundlage des Buches von Betty Mahmoody gewonnen. Hier kamen sämtliche Klischees zum Einsatz. Die Iraner wurden grundlegend als schmutzige und fanatische Muslime dargestellt. Die Diskriminierung ging soweit, dass der Roman dieser US-Autorin, die nur kurze Zeit im Iran gelebt hatte, sogar an den amerikanischen Schulen als Pflichtlektüre gelesen werden musste.
Der Kontrast: Als vor einigen Jahren das Buch meiner deutschen Ehefrau Justine Harun-Mahdavi - Titel „Nicht ohne meinen Mann“ - als Antwort einer Frau, die elf Jahre im Iran gelebt hatte und seit über 44 Jahren mit einem muslimischen Iraner verheiratet ist erschien, erfuhr dieses Buch in keiner Weise vergleichbare Medienunterstützung. Das Plädoyer meiner Frau für die Muslime, für die Iraner und die fremde Kultur entsprach einfach nicht dem Zeitgeist.
Ein weiterer klarer Beweis dafür, dass die weltweite öffentliche Diskriminierung und antiislamische Propaganda in der ganzen Welt nicht spurlos an den Köpfen der Menschen vorbei gegangen ist und bereits starke Wirkung zeigt. Auch in der Vergangenheit wurden Menschen, die gegen den Zeitgeist wirkten, entweder öffentlich geächtet oder wurden, wie z.B. Martin Luther King, ermordet.
Heute steht der Begriff ISLAM flächendeckend als Synonym für Terror, Selbstmordattentäter, Hinrichtungen bzw. für die Unterdrückung der Frauen. Das hat die westliche Elite in den letzten 30 Jahren sukzessive erreicht. Ich erkenne dies als Beispiel für bodenlose Menschenrechtsverletzung. Und nirgendwo findet sich dafür ein Richter. 30 Jahre nach der islamischen Revolution, fast zehn Jahre nach dem 11. September hat sich im Verhältnis gegenüber Muslimen nicht nur nichts geändert, die Situation eskaliert heute mehr und mehr.
Nur, wessen Vorteil wäre eine Eskalation dieser Situation in Mitteleuropa?
Deutschland hat in den letzten Jahrzehnten unter allen vergleichbaren Staaten zugunsten von Toleranz und Integration viel erreicht. Die meisten Umfragen beweisen, dass Menschen jeglicher Herkunft unser Land für lebenswert und sicher halten. Wir haben Seite an Seite ein Land mit höchstem Standard und Lebensqualität erschaffen. Nicht umsonst ist die Beziehung Deutschlands gerade zu islamischen Ländern so unerschütterlich positiv gewesen. Diese guten Kontakte sind häufig auf einen historischen Hintergrund zurückzuführen.
Von den ca. 4,5 Millionen muslimischen Bürgern in Deutschland stammen ca. 2,3 Millionen aus der Türkei. Die restlichen kommen u.a. aus Ländern wie Afghanistan, Ägypten, Albanien, Bosnien, Indonesien, Irak, Iran, Kosovo, Libanon, Libyen, Marokko, Pakistan, Saudi-Arabien, Syrien, Tunesien, Vereinten Emiraten.
Zusammen bildet die Gruppe der Muslime in Deutschland etwa 5,2 Prozent der Gesamtbevölkerung. Die Bedeutung dieser Gruppe darf man nicht mehr unterschätzen, zumal sie im Durchschnitt deutlich jünger und motivierter ist als die deutsche Durchschnittsbevölkerung.
Aus heutiger Sicht muss man zugestehen, dass gerade die Gastarbeiter aus der Türkei und ihre hier lebenden Nachkommen nicht nur Pflichten erfüllt haben, sondern mit ihrem ganzen Einsatz mindestens genauso viel zum Erfolg des Wirtschaftsstandortes Deutschland beigetragen haben wie alle anderen Bürger.
Ich gebe zu bedenken, wir haben es heute nicht mehr mit der ersten Generation der Gastarbeiter in Deutschland zu tun, sondern mittlerweile mit der dritten bzw. vierten Generation. Diese Menschen sind in der Regel hier geboren bzw. hier aufgewachsen. Zugegeben, es war ein langsamer Prozess, aber die Zahl der jungen Muslime an den deutschen Universitäten nimmt stetig zu. Insgesamt wächst der Bildungsstand der Muslime in Deutschland von Generation zu Generation.
Im Gegensatz zu den haltlosen Behauptungen von Herrn Sarrazin nehmen türkische Muslime sehr wohl am Wirtschaftsleben der Deutschen teil und sind, zusammen mit Zuwanderern aus dem ehemaligen Jugoslawien, aus der ehemaligen Sowjetunion, aus Polen, Tschechien, Slowakei und vielen anderen Ländern, nicht mehr von den Montagebändern bei Mercedes, BMW, VW, OPEL, Porsche, Ford, Audi, MAN, Siemens, Infineon, oder aus den Stadtwerken, Pflegeheimen und Krankenhäusern - um nur einige Firmennamen bzw. Berufszweige zu erwähnen – wegzudenken.
Es gibt viele Arbeitsbereiche, ohne deren Einbindung nicht nur die Produktion sondern das ganze gesellschaftliche Leben still stehen würde. Der besondere Einsatz von Immigranten hat mitunter dazu geführt, dass Deutschland sein technologisches Potential unter bezahlbaren Voraussetzungen voll ausschöpfen konnte.
Die Rolle der türkischen Muslime ist deshalb so wichtig, weil sie etwas mehr als die Hälfte der in Deutschland lebenden Muslime stellen. Nach der mehrheitlich christlichen Bevölkerung bilden die Muslime die größte religiöse Gruppe in Deutschland.
In Anbetracht dieser Tatsache, enttäuscht es umso mehr, dass hochrangige Politiker diese Tatsache bisher unterschätzt haben und, allem Anschein nach, weiterhin unterschätzen wollen. Der von Politikern gelegentlich verwendete Begriff christlich-jüdische Kultur ist hier ohnehin völlig falsch gewählt.
Fragt man in Deutschland lebende Juden, ob sie sich als Deutsche sehen, werden sie häufig antworten, wir sind Israelis! Angesichts der Geschichte unseres Landes, habe ich sogar Verständnis für diese Haltung. Wenn opportunistische Politiker in Deutschland von einer abendländisch-christlich-jüdischen Kultur sprechen, dann meinen sie nichts mehr als: Ihr lieben Christen und Juden, bitte verwehrt uns eure Stimmen nicht, denn wir kämpfen für euch gegen die Muslime!
Wenn Bundespräsident Christian Wulff richtigerweise sagt, die Muslime gehörten zu Deutschland, zeigt dies nur seinen Weitblick in Hinsicht auf die Zukunft Deutschlands. Wenn der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer dagegen vor laufender Fernsehkameras lauthals von sich gibt „Multikulti ist tot!“, dann ist dies Ausdruck einer kurzsichtigen Betrachtung der Situation. Seehofer spricht als Politiker, der mitten in der Auseinandersetzung mit beispielsweise den Grünen steht. Er repräsentiert dabei aber nicht die realen Verhältnisse, weder in Deutschland noch in seinem Land Bayern. Solche, auf dem CSU-Parteitag hinausposaunten Phrasen, hätte er sich niemals vor der Betriebsversammlung einer Firma wie Audi oder BMW erlauben dürfen.
Heute muss man an die Adresse jener Deutschen, die sich mit dem Thema Akzeptanz der Ausländer, Zuwanderer, Asylanten, Flüchtlinge immer noch schwer tun, sagen, es ist ohnehin schon zu spät. Seit fast vier Jahrzehnten leben Muslime mit unterschiedlicher Hingabe an ihre Religion in unserer Mitte und haben Seite an Seite mit den Deutschen den Wieder-Aufbau des Landes vorangetrieben. Sie fühlen sich hier zu Hause, sind Mitbürger und wollen nicht mehr nur als geduldete Einwanderer gelten.
Das Thema Integration ist für Deutschland sehr wichtig, und es ist keineswegs religionsspezifisch zu sehen. Der Begriff Integration darf, frei nach Michel Friedman, nicht zu einem rassistischen, diskriminierenden Schimpfwort geraten. Nach Meinung Friedmans ist die derzeitige Deutung des Begriffes nichts als „die Unterjochung von Individuen unter dem Willen einer grauen Mehrheit“. Integration sollte aber bedeuten, sich in eine Umgebung einzubringen ohne sein ganz persönliches ICH aufgeben zu müssen. Integration bedeutet aber auch, die anderen in seinen Kreis aufzunehmen, ohne sie unterjochen zu wollen. Wir alle sollten unsere Kulturen miteinander teilen, und uns nicht gegenseitig ausschließen.
Menschen sind so verschieden. Es ist kein Geheimnis, dass Sachsen oder Schwaben in Bayern manchmal wie Mars-Menschen bestaunt werden. Und doch käme keiner auf die Idee, von ihnen zu verlangen, ihren Dialekt aufzugeben und reinstes Ur-Bayerisch zu sprechen. Der Schwabe gibt zu, alles zu beherrschen, nur kein Hochdeutsch. Ist er deswegen nicht integrationsfähig?
Auch die Muslime weisen viele Unterschiede auf. Die afghanischen und iranischen Muslime unterscheiden sich von nordafrikanischen Muslimen. Der Türke wiederum von den Sunniten aus Saudi Arabien oder Glaubensbrüder aus Indonesien oder Malaysia. Die Behauptung Sarrazins es gäbe ein Islam-Gen, ist völlig aus der Luft gegriffen, fern aller wissenschaftlichen Grundlagen und dient einzig und allein der Beleidigung Millionen deutscher Bürger.
So kommt der Verdacht auf, dass das völlig überzogene Thema Integration eher eine verkappte Islamfeindlichkeit ist. Sie soll unter dem Deckmantel der „Integrationsresistenz der Muslime“ eine Erinnerung an längst vergangene und am liebsten vergessene Zeiten in unserem Land verhindern.
Nun stellen wir fest, dass gerade deutsche Bürger wie Thilo Sarrazin, genau das machen, was Sie von anderer Seite befürchten, nämlich „Deutschland abschaffen!“. Unsere weltweit vorbildliche innere Sicherheit ist das beste Zeugnis für das friedliche Zusammenleben aller Kulturen in diesem Land. Was haben Staaten wie Großbritannien, Frankreich, Spanien oder Italien mit ihrer politischen Auslegung von Toleranz und Integration Besseres erreicht als Deutschland? Deutschland darf nicht auf dasselbe Gleis geraten, wie diese gescheiterten Länder. Deutschland darf sich nicht unter Preis verkaufen.
Bedingt durch Regierungs- und Parteimiseren war die Integrationsdebatte für Frau Merkel und Herr Seehofer eine willkommene Verschnaufpause in eigener Sache. Angesichts der bevorstehenden Landtagswahlen glaubten sie wohl, mit Machosprüchen ein paar Wählerstimmen mehr aus dem sogenannten konservativen Lager – oder auch von der „schweigenden Mehrheit“ - einheimsen zu können.
Die heutigen „Wut-Bürger“ lassen sich aber nicht mehr so leicht verschaukeln. Eine Mehrheit der Deutschen lebt, auch nach dem 11. September 2001 bzw. trotz massiver Provokationen von Ahmadi-Nejad und Co. oder Terrordrohungen Bin Ladens und Al Qaidas, in Eintracht und Freundschaft mit den muslimischen Mitbürgern. Diese Deutschen lassen ihre Haltung und ihre Meinung auch nicht durch politisch motivierte Polemik beeinflussen. Sie haben dies früher nicht gemacht und werden es auch in Zukunft nicht tun.
Nicht umsonst gab es so heftige Reaktionen gegen das Buch von Thilo Sarrazin und gegen die künstlichen Stellungnahmen der Bundeskanzlerin oder des bayerischen Ministerpräsidenten. Sarrazin, zuletzt Vorstand der Bundesbank, wurde sogar seines Postens enthoben. Seine Partei SPD droht mit einem Ausschlussverfahren gegen den einstigen Berliner Finanzsenator.
Insgesamt wundert es keinen, wenn die großen Parteien unter 30 Prozent abstürzen und Politikverdrossenheit sich in der Bevölkerung breit macht, mit dem Ergebnis, dass die Wahlbeteiligung rapide absinkt und das Feld für einen neuen Siegeszug der Kleinparteien geräumt wird. Nicht umsonst ist der Begriff „Wut-Bürger“ in diesem Jahr geprägt worden. Die Bürger sind wütend auf die Politik, die zu oft über ihren Köpfen entscheidet.
Wenn Herr Sarrazin in mehreren Passagen seines Buches die islamische Bevölkerung Deutschlands über einen Kamm schert, als faul und schmarotzerhaft tituliert, wenn er dafür vom CDU-Bundestagsabgeordneten Wolfgang Bosbach für seine nur zum Teil dokumentierten „Beweise“ Unterstützung erfährt, dann verärgert das sogar den total integrierten Bürger islamischen Glaubens. Herr Sarrazin berichtet von einer vielköpfigen libanesischen Familie, die nicht arbeiten und auf Kosten des Sozialstaates leben würde, und er behauptet zu alledem, dies läge am Islam. Sollen wir uns nun auch auf das „Bild“Zeitungs-Niveau begeben und die Deutschen daran erinnern, dass es eine nicht unerhebliche Zahl an daueralkoholisierten, langzeitarbeitslosen, gewaltbereiten und gewalttätigen Rechtsradikalen gibt. Und das läge wohl an den typischen Eigenschaften der Deutschen!
Genauso falsch wäre es, mehr als 60 Jahre nach dem Krieg die Gräueltaten der damaligen Machthaber den nachgeborenen Generationen weiter vorzuhalten und Sie dafür in die Verantwortung zu nehmen. Genauso falsch ist die pauschale Diffamierung aller Muslime. Gelegentlich entsteht der Eindruck, wir lebten nicht mehr in einem säkularen Staat, weil Politiker und Parteien sich dazu hinreißen lassen, eine Glaubensgemeinschaft derart pauschal zu verunglimpfen.
Zusätzlich sollte man nicht aus den Augen verlieren, dass Parteien in einem freien Land wie Deutschland sich sehr gerne als christlich bezeichnen. Die deutsche Verfassung bestimmt ausdrücklich, dass in der Bundesrepublik Staat und Kirche voneinander getrennt existieren. Ohne Zweifel herrscht in unserem Land auch RELIGIONSFREIHEIT. Im ersten Artikel des Grundgesetzes steht ausdrücklich: Die Würde des Menschen ist unantastbar! Der Glaube des Menschen ist Teil seiner Würde.
Dieser politische Spagat zwischen Meinungsfreiheit und Agitation lässt wenig Raum zur puren Verfassungsfeindlichkeit, auch wenn dieses Thema nicht von irgendwelchen Halbstarken auf der Straße polemisiert wurde, sondern von Politiker höchsten Ranges.
Die Erniedrigung der muslimischen Bürger in Deutschland hat ein unerträgliches Ausmaß erreicht. Gab es und gibt es nicht immer wieder genügend Beispiele für Gewalttaten mit ausländerfeindlichem Hintergrund? Wer immer wieder irgendwelche Einzelfälle zur Pauschalisierung heranzieht, begeht Rufmord.
Eines ist sicher: Sarrazin gibt an, daß jeder 6. Muslim nicht integriert ist. Wir stellen also fest, daß über 83% integriert sind. Das generelle Verhalten der Mehrheit dieser integrierten Muslime gegenüber anderen Bürgern hat bisher kein Anlass gegeben, diese Gruppe in der vorliegenden Art und Weise zu erniedrigen. Vielmehr befleißigen sich diese Bürger eines respektvollen Umgangs mit den verschiedenen Religionsgemeinschaften in diesem Land.
Auch die vor einigen Jahren forcierte Globalisierung richtet sich in erster Linie gegen die mehrheitlich muslimischen Länder. Die westliche Welt versprach unter dem Deckmantel der Globalisierung eine angeblich bessere Zukunft für die ganze Welt. Grenzen sollten fallen, die Menschen sollten leichter reisen können, Barrieren für die Wirtschaft sollten abgebaut werden. All das war aber nur einseitig gedacht. In Wahrheit wollte die westliche Welt ihre Geschäfte in Richtung Osten besser in den Griff bekommen. Die Konsumenten in den sogenannten Entwicklungsländern sollten auf lange Zeit von den starken Wirtschaftsmächten abhängig bleiben.
Eine Globalisierung dieser Art sollte letztendlich die Machtposition des Westens garantieren, aber keineswegs die Welt gerechter machen. Nun muss man aber sagen, die Globalisierung ist keine EINBAHNSTRASSE. Fair umgesetzt, wäre sie wirklich eine realistische Möglichkeit zu größerer Gerechtigkeit und Fortschritt auf der Welt. Die Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen gilt ja auch für alle Nationen und für alle Menschen. Dass nun in Zusammenhang mit der Integrationsdebatte einige Politiker, darunter Merkel und Seehofer, eine Einschränkung der Zuwanderung in Erwägung ziehen, widerspricht der Charta.
Die aktuellen Aussagen der Politiker sind leider sehr leichtfertig, unbedacht und ohne Rücksicht auf die islamische Bevölkerung erfolgt. Sie haben die Gefühle von über vier Millionen Bürger getroffen und werden sicherlich für Deutschland und seine Wirtschaft nicht ohne Folgen bleiben. Ranghohe Politiker dürfen nicht aus primitivem Eigeninteresse die deutsche Verfassung außer Acht lassen und Religionsgemeinschaften diskriminieren, insbesondere nicht in einem säkularen und demokratischen Staat.
Dass Thilo Sarrazin obskure Gen-Thesen über Juden und Muslime von sich gibt, ist kein Freifahrtschein für gewählte Politiker, sich auf dasselbe Niveau zu begeben.
Der Glaube eines Menschen ist seine ganz private und persönliche Sache und darf zu keinem eigensüchtigen Zweck missbraucht werden. Das gilt für jeden, ob Christ, Muslim, Jude, Zoroaster, Buddhist oder einer anderen Religion zugehörig.
Es ist eine Tatsache, dass muslimische Bürger aller Herkunftsländer auch in Zukunft an der Weiterentwicklung Deutschlands teilhaben werden. Wir dürfen dieses Potential nicht außer Acht lassen und seine Angehörige wie Bürger zweiter Wahl behandeln.
Bundespräsident Christian Wulff hat in seiner aktuellen Weihnachtsansprache an die Bereitschaft der Bevölkerung zu mehr Zusammenhalt, Verständigung und Menschlichkeit appelliert. Er sprach davon, dass unsere Gesellschaft frei und bunt sei. Er bat die Bevölkerung, Respekt für alle Menschen und ihre Leistungen aufzubringen, gerade auch für solche, die anders sind. Sein Appell galt der Solidarität in unserem Land und dem Willen, das zu suchen was uns zusammenhält und nicht das, was uns entzweit. Seine Rede und der Aufruf von Papst Benedikt XVI zur Achtung der Religionsfreiheit wird vieles, was in kurzer Zeit zerstört wurde, wieder gut machen. Aber wirklich alles?
Feindseligkeit gegenüber vier Millionen Mitbürgern ist weder logisch noch ratsam und sicherlich für die Zukunft Deutschlands nicht förderlich. Der dadurch gestörte innere Friede unserer Gesellschaft würde eher den Feinden Deutschlands in die Hände spielen, als das Problem zu lösen. Die weitere Verunglimpfung der islamischen Bevölkerung führt immer mehr dazu, dass die fanatischen Islamisten sich im Recht sehen und aus dem unzufriedenen Potential noch mehr für sich abzweigen.
Wir müssen diesen gefährlichen Kräften den Nährboden entziehen, in dem wir alle Religionen, wie die Verfassung es fordert, achten und fördern und die Würde dieser Menschen schützen. Dann haben Al Qaida und Konsorten keine Chance. Dann wird, so wie es in den letzten Jahrzehnten der Fall war, die deutsche Gesellschaft von religiös motivierten Anschlägen verschont bleiben.
Quelle: Pew Research Center´s Forum on Religion & Public Life (Oktober 2009)
Quelle: Pew Research Center´s Forum on Religion & Public Life (Oktober 2009)
Anteil der Muslime an Gesamtzahl der Erdbevölkerung
Quelle: Pew Research Center´s Forum on Religion & Public Life (Oktober 2009)
Die obigen Schaubilder zeigen, dass sich mittlerweile die beiden Religionen Christentum und Islam zahlenmäßig annähern. Es herrscht beinahe eine Patt-Situation, und das ändert auch die globalen Macht- und Wirtschaftsverhältnisse. Wir können nicht den Islam verunglimpfen, wohlwissend, dass ein wesentlicher Teil unserer Produkte in islamische Länder verkauft wird.
Um Mißverständnisse vorzubeugen, diese Zeilen sind kein Plädoyer für Islam oder irgendeine andere Religion, sondern ein Plädoyer für Deutschland.
Deutschland war und muss weiterhin in seinem objektiven Verhalten gegenüber allen Religionen und Kulturen ein Vorbild bleiben. Unsere Politiker dürfen sich brachialen Aktionen, wie vom französischen Präsidenten Sarkozy gegenüber Roma oder Muslimen praktiziert, nicht anschließen. Deutschland muss seine eigene Politik, basierend auf traditioneller Toleranz, fortführen und sich mit aller Macht gegen den sogenannten europäischen Zeitgeist wehren.
Frau Merkel und Herr Seehofer sind in ihren Schlüsselpositionen als Kanzlerin und Ministerpräsident gefragt, ihrem Eid gemäß, sich der Verantwortung für ALLE Bürger des Staates bewusst zu werden und sich in solchen Fragen über bloße Parteipolitik und politisches Taktieren zu erheben und nur das Wohl Deutschland in Betracht ziehen, im Sinne der Verfassung und der Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen vorbildlich zu handeln.
US-Präsident Obama hat für seine letzten Gesetzentwürfe sehr viel Anerkennung bekommen. Auch er hat sich den Gegenkräften der Opposition und seiner eigenen Partei widersetzt, gegen bestehende Diskriminierung und für mehr globale Sicherheit engagiert, und ist mit unerwartetem Erfolg belohnt worden. Wir wünschen uns von Kanzlerin Merkel, dass sie Barrack Obama nicht nur ihre Anerkennung übermittelt, sondern seinem Beispiel folgend selbst mit Weisheit und Mut auch die muslimische Bevölkerung als Bürger dieses Landes gleich behandelt, dass sie sich für Respekt und gegen Diskriminierungen jeglicher Art einsetzt.
München, Januar 2011
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen